Sonntag, 5. Mai 2019

Antwerpen April 2019 / Städtetrip

"Eigentlich"...

...wollen wir nur unsere favorisierte Band "The Slow Show" sehen und hören. Mit neuen Songs gehen sie auf eine kleine Clubtour mit nur vier Konzerten.
Berlin, London und Amsterdam sind am Tag der Ankündigung bereits ausverkauft, sodass nur Antwerpen übrig bleibt. Uns wurde da erst bewusst, wie schnell und einfach die Stadt für uns zu erreichen ist. Schon 100 mal auf dem Weg an die holländische Küste daran vorbei gefahren und immer als zu laut, zu groß und zu dreckig durchgewunken wollen wir diesmal die Chance nutzen, diese Vorurteile auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen.
Auf der Suche nach einer Unterkunft haben wir ziemlich genau zwischen dem Musikklub und der Altstadt ein Bed&Breakfast gefunden und gebucht, dessen Lage uns ermöglicht, alle Unternehmungen für die zwei Tage fußläufig zu gestalten. Zudem gefallen uns das Haus und die Wohnung so gut, dass wir sie bedingungslos weiterempfehlen können. Bereits der Eingangsbereich ist liebevoll dekoriert und das Treppenhaus macht direkt auf diesem Niveau weiter:

B&B CoucheCouche Detail

B&B CoucheCouche Treppenhaus

B&B CoucheCouche Detail

Das Haus liegt im Viertel Borgerhout in einem engen Gewirr von Einbahnstrassen an einem kleinen Platz hinter einer Kirche und bietet trotz der Innenstadtnähe Ruhe und Erholung. Um die Ecke liegt eine kleine Frühstücksbar mit einem tollen Angebot.
Wir machen uns zu Fuß auf zu einer Stadtbesichtigung und erreichen bereits nach wenigen Minuten den Hauptbahnhof, von wo aus sich mit den Einkaufsmeilen Meir und Keyserlei ausgedehnte Fußgängerzonen in Richtung Schelde ziehen. Gut, dass heute Sonntag ist und die meisten Läden geschlossen sind. Aufgrung einer beruflichen Vorbelastung lasse ich mir jedoch die heiligen Hallen des Schock-O-Latier Dominique Persoone nicht entgehen. Knallige Farben und eigenwillige Kreationen passen gut zu hervorragender Qualität:

Alles Schokolade


Beim ziellosen Treibenlassen durch den Innenstadtbereich sind alle Vorurteile der Vergangenheit bereits widerlegt und wir genießen das Ambiente der Hafenstadt:



"Homeless Jesus" Bronzeskulptur von Timothy Schmalz / Canada
Antwerpen ist auch als internationale Modemetropole mit eigener Akademie bekannt. In der Nähe des Zentrums "ModeNatie" und des dazugehörigen "MoMu"-Museums befinden sich etliche Boutiquen mit interessanten Modellen, die jedoch nicht so ganz unsere Geschmäcker treffen:


St. Andries




ModeNatie
 
Schließlich erreichen wir das mittelalterliche Zentrum und bewundern wie so viele andere die touristischen Highlights wie den Groenplaats mit der mächtigen Liebfrauen-Kathedrale, den Handschoenmarkt und den Grote Markt mit dem leider eingerüsteten Rathaus und den vielen prachtvollen Zunfthäusern:

Groenplaats mit Rubens Denkmal

Liebfrauen Kathedrale Eingangsportal

Handschoenmarkt

Grote Markt mit Brabo-Brunnen

Grote Markt




Entlang des Schelde Ufers zieht sich eine Promenade zur Steen, der alten Burg, die jedoch komplett eingerüstet auf Restaurierungsarbeiten wartet. In der Gegenrichtung finden wir den Sankt-Anna-Tunnel, der seit 1930 die hier ca. 500 Meter breite Schelde in 32 Meter Tiefe unterquert. Das Begeisternde an diesem Tunnel ist jedoch die hölzerne Rolltreppe, die in mehreren Abschnitten erst den Zugang zur Röhre ermöglicht:

Sankt-Anna-Tunnel / 32 Meter tiefe Rolltreppe aus Holz

Sankt-Anna-Tunnel

Sankt-Anna-Tunnel

Sankt-Anna-Tunnel

Sankt-Anna-Tunnel / 572 Meter lang unter der Schelde

Nach dem Genuss eines typischen Moule Frites (Miesmuscheln in Weißwein mit Fritten) durchstreifen wir auf dem Heimweg noch das sogenannte Diamantenviertel. Angeblich sollen 2/3 des weltweiten Diamantenhandels in Antwerpen abgewickelt werden, woraus auch der Spruch entstanden ist: "Die Welt ist ein Ring und Antwerpen der Diamant darin". Uns schrecken jedoch die vielen Kameras und Türsteher an den glanzlosen Fassaden ab. Zumal der Glanz in den Schaufensterauslagen grundsätzlich keine Preisauszeichnung ausweist.

Am nächsten Morgen streifen wir durch das jüdische Viertel; wohlwissend , dass es sich in Antwerpen um die größte jüdische Gemeinde Europas handelt. Wir stellen erfreut fest, dass der übergangslose Wechsel aus "unserem" stark muslimisch geprägten Viertel für ein gutes Miteinander der Kulturen spricht.
Wir nähern uns dem Hauptbahnhof, der zu den schönsten Europas gezählt wird. Stuckdecken und riesige Rundbogenfenster, Marmorverkleidungen und die alles überragende Kuppel bestätigen diese Aussage eindrucksvoll:

Centraal Station Antwerpen

Centraal Station Antwerpen

Centraal Station Antwerpen

Centraal Station Antwerpen

Centraal Station Antwerpen

Centraal Station Antwerpen

Centraal Station Antwerpen / Blick in die Kuppel

Weitere Streifzüge bei bestem Aprilwetter lassen die Vielfalt der lebendigen Stadt erkennen. Egal ob geschäftige Fußgängerzonen, die von alten Prunkbauten dominiert werden



oder engste Gassen, die die in Ost - West - Richtung verlaufenden Boulevards miteinander verbinden


Vlaeykensgang

Altes trifft mitunter brutal auf die Moderne, die kriegsbedingte Narben geschlossen hat


Und überall gibt es Kultur und Kunst. So wie im modernen Museum aan de Stroom im alten Hafenviertel mit seiner Aussichtsterasse und interessanten Details der Fassade

Museum aan de Stroom




Das direkt anschließende Viertel Schipperskwartier beherbergt nicht nur das örtliche Rotlichtviertel, sondern erinnert uns auch ein wenig an Lissabon





Unser eigentliches Ziel der Reise haben wir dann auch noch erreicht und ein wirklich wunderbares und sehr intimes Konzert im Trix-Club erleben dürfen:




Fazit: Antwerpen ist auch ohne Konzertbesuch ein lohnenswertes Ziel für einen Kurz-, Wochenend- oder Städtetrip. Mit ein wenig mehr Zeit im Gepäck auch sehr gut mit Brügge und/oder Gent zu kombinieren. Mit Englisch kommt man überall durch. Ansonsten ist das Flämisch nicht sooo weit weg vom Deutschen.
Eine empfehlenswerte Seite zur Vorbereitung ist visitantwerpen, wo man auch bei Anreise mit dem eigenen Fahrzeug Tipps für eine Besonderheit erhält: man muss sein Fahrzeug registrieren lassen, um eine Einfahrtgenehmigung für die Umweltzone zu erhalten.

Kann mich gar nicht entscheiden, welcher Spruch mir besser gefällt...


Dienstag, 2. April 2019

Baltikum/Finnland Juni 2018


Von wegen zwei, maximal drei Tage! Seit acht Tagen lassen wir uns bereits vom Baltikum und seinen großartigen Menschen verzaubern. Was aufgrund im Vorfeld der Reise recherchiertem Material von anderen Motorradreisenden als öde und langweilig beschrieben wurde, fasziniert uns. Natürlich hätten wir auch direkt die Fähre nach Helsinki nehmen können, aber irgendetwas hat uns dazu bewogen, erst einmal nur bis Klaipeda zu buchen und dann den Landweg zu nehmen. Soll ja auch ein Motorradurlaub und keine Kreuzfahrt werden!
Aber dass wir direkt am zweiten Tag von der vorgesehenen Route mit ein paar wenigen eingeplanten Besichtigungen abweichen, lässt das eigentliche Ziel der Ostseeumrundung in weite Ferne rücken...
Dieses Jahr sind wir zu dritt, da unser ältester Sohn Daniel uns auf seiner KTM begleitet. Sein erster mehrwöchiger Motorradtrip.


Bereits der Start der Reise war ein wenig holprig. Obwohl die Fähre ab Kiel erst um 21:00 ablegt, wird die Zeit trotz ausreichender Reserven knapp. An diesem heißen ersten Junisonntag des Jahres 2018  war so viel Verkehr, dass wir die Anfahrt durch mehrere Ausweichrouten weg von der Autobahn von knapp 600 auf 750 km erweitern mussten.

Die "Victoria Seaways" der DFDS startet nicht vom Kieler Stadthafen, sondern vom Ostuferhafen mit dem Charme eines Gewerbegebietes. Auch bilden hier nicht vergnügungssüchtige Urlaubsreisende die stärkste Klientel, sondern hauptsächlich LKW-Fahrer auf dem Weg von und nach Osteuropa. Als günstig erweist sich, dass sich in der Schalterhalle der DFDS eine Pizza-Kette breit gemacht hat, die uns nach der Anreise noch die Möglichkeit eines Imbisses bietet.

Die Fährüberfahrt selber ist unspektakulär und aufgrund des warmen und sonnigen Wetters sehr angenehm, da wir uns den ganzen Tag draußen auf Deck aufhalten können. Ankunft im litauischen Klaipeda ist am nächsten Tag gegen 18:00 und nachdem wir das Hafengelände verlassen, steuern wir direkt die nächste Fähre im "Neuen Hafen" über die schmale Engstelle des Kurischen Haffs an, die uns in zwei Minuten auf die Kurische Nehrung bringt.
Die Nehrung ist eine fast 100 km lange und teilweise nur 400 Meter schmale Landzunge aus Sand, die ziemlich genau in ihrer Mitte von der russisch-litauischen Grenze zerschnitten wird. Die eigenartige Mischung aus Skandinavien und Nordafrika wird von bis zu 60 Meter hohen Dünen geprägt und man sollte sie laut dem ollen von Humboldt "gesehen haben, wenn einem nicht ein wunderbares Bild in der Seele fehlen soll"! Die 50 km werden lediglich von drei kleinen Fischerdörfern unterbrochen, bevor wir kurz vor der russischen Grenze mit Nida den einzigen größeren Ort erreichen und uns auf dem dortigen Campingplatz einrichten. Der abendliche Spaziergang am Strand bietet einen herrlichen Sonnenuntergang und wir freuen uns auf die drei bevorstehenden Wochen.






Auch der nächste Tag startet holprig: Radwanderer berichten uns von einer sechsstündigen Wartezeit an der russischen Grenze, sodass wir trotz vorbereiteter Visa auf die Umrundung des Haffs verzichten und die Nehrung in Gegenrichtung zurückfahren. Dafür gönnen wir uns aber noch die Wanderung auf die Parnidder Düne, die von einer 14 Meter hohen Sonnenuhr gekrönt wird und schöne Einblicke in die Litauische Sahara des Parnidis Naturreservats bietet.


Kurz hinter Klaipeda ist Daniel auf einmal  nicht mehr im Rückspiegel zu sehen und wir fahren ein Stück zurück. Er hat seine KTM mit plattem Hinterrad am Straßenrand abgestellt und wir entdecken eine schöne, dicke Spax-Schraube in seinem Reifen. Das Rad ist schnell ausgebaut und wir nehmen das Gepäck von meiner KTM, um das Rad darauf zu verzurren, damit er sich auf den Weg zu einer Reifenwerkstatt in Klaipeda machen kann.




Wir legen uns solange an den nahen Strand und machen das beste aus der verlorenen Zeit. Telefonisch erfahren wir, dass der Schlauch so zerfetzt ist, dass er nicht mehr geflickt werden kann. Die Suche nach einem solchen in 18 Zoll zieht sich und da wir bei der Fahrt kurz vorher an der Zufahrt zu einem Campingplatz vorbeigekommen sind, mache ich mich mit den Zelten zu Fuß auf den Weg und baue schon einmal unsere textilen Ferienhäuser auf. Kurz darauf erscheint auch Daniel wieder mit geflicktem Reifen und wir können unbesorgt den Abend genießen.


Bei schönstem Wetter starten wir am nächsten Morgen in Richtung Palanda, dem größten Kur- und Badeort Litauens. Im Vorfeld hatten wir von der Landungsbrücke gelesen, die fast 500 Meter weit ins Meer hinausragt und von den Einheimischen nur "Liebes-Allee" genannt werden soll. Allerdings ist hier so viel los und die Brücke selber ist von verkehrsberuhigten Fußgängerzonen umgeben, dass wir nach einiger Kurverei durch das verwirrende System von Einbahnstraßen und Sackgassen aufgeben und wieder die Einsamkeit des Binnenlandes suchen.
Über Kretinga und Plunge fahren wir immer südlich der Hautroute über kleine Schotter- und Sandpisten durch kleine gepflegte Dörfer, die scheinbar nur von alten Menschen bewohnt werden, die voll freundlicher Neugierde das Gespräch suchen und erstaunlich viele sprechen ein gutes Deutsch. Die meisten scheinen als Selbstversorger mit landwirtschaftlicher Arbeit über die Runden zu kommen und wir sehen mehr Pferdefuhrwerke als Autos. Die Städte und Dörfer wirken sehr weitläufig und bieten fast alle schöne Parklandschaften mit Spiel- und Sportmöglichkeiten. Busse fahren bis in die kleinsten Dörfer und fast jede Bushaltestelle bietet die Möglichkeit eines kostenlosen WLan-Zugangs.
Schließlich erreichen wir den Zemaitija-Nationalpark, der auch die Litauischen Alpen genannt wird. Und tatsächlich schlängeln sich hier kleine Naturpisten kurvenreich durch eine hügelige Seen- und Waldlandschaft, deren Mittelpunkt der Plateliai-See ist und der schöne Pausenplätze bietet.





Kurz darauf überschreiten wir bei Skuodas schon die lettische Grenze und können vom ersten Meter an deutliche Unterschiede zwischen den beiden Ländern ausmachen. Die Dörfer wirken regelrecht ärmlich und die Straßen und Wege sind in sehr schlechtem Zustand und übersät mit tiefen Schlaglöchern. Auffällig ist hier jedoch die hohe Dichte fetter SUV's, die so gar nicht in die eher bescheidene Umgebung passen...

Zurück an der Küste erreichen wir bei Bernati den etwa 500 km langen Strand der lettischen Ostseeküste und decken uns in Liepaja mit Proviant ein. Die Stadt wird aufgrund ihrer Lage an der offenen Ostsee auch als "die Stadt, wo der Wind geboren wurde" bezeichnet. Nördlich befindet sich ein ca. 60 km langer Sandstrand, der von einer unbefestigten Straße oberhalb der immerhin 20 Meter hohen Steilküste durch schattige Kiefernwälder begleitet wird.
Hier finden wir auch den wildromantischen Camping Rugumi, der wenig Komfort (Plumpsklo und kaltes Wasser aus dem Gartenschlauch), aber dafür einen enormen Wohlfühlcharakter bietet. Uns gefällt das so gut, dass wir länger bleiben wollen und so entscheiden wir uns für einen Pausentag an diesem herrlichen Ort. Raivis, der Betreiber des Platzes, organisiert uns noch ein paar Scheite trockenen Holzes und wir genießen den Abend oberhalb des Strandes bei einem herrlichen Sonnenuntergang und einem Lagerfeuer bei guten Gesprächen.






Den nächsten Morgen starten wir mit einer ausgiebigen Strandwanderung und wir gratulieren uns zu unserer Entscheidung, länger geblieben zu sein.




Gegen Mittag machen wir uns ohne Gepäck auf in Richtung Norden und schottern etliche Kilometer bis zum Hafenort Pavilosta und der Steilküste bei Jurkalne,




bevor wir uns die alte Hansestadt Kuldiga ansehen wollen. Ein schönes altes Stadtzentrum aus vielen bunten Holzhäusern, sowie der breiteste Wasserfall Europas lohnen den Besuch.  Eine imposante Backsteinbrücke überspannt den Fluss Venta, der wenige Meter  weiter den zwar nur knapp 2 Meter hohen, aber dafür 250 Meter breiten Wasserfall "Ventas Rumba" bildet.






Da uns der Vorabend so gut gefallen hat, nehmen wir eine Wiederholung gerne in Kauf...



So gut es uns hier auch gefällt, wollen wir am nächsten Tag doch langsam mal weiter. Allerdings haben uns Land und Leute bisher schon derart begeistert, dass wir uns mehr Zeit dafür nehmen wollen, sodass wir die Idee der Ostseeumrundung verwerfen und uns zumindest Riga und Tallinn ansehen wollen. Ob wir Finnland so noch sehen werden???
Eine endlose lange Gerade, gesäumt von endlosen grünen Wäldern unter einem endlos blauen Himmel und darüber jagenden makellos weißen Wolkengebilden. Schon seit Stunden cruisen wir bei gut über 30° in Richtung Osten.



Bei einer Pause an einem der vielen Seen lernen wir diese drei jungen Herren kennen, die trotz ihrer Jugend im Gegensatz zu uns ein perfektes lettisch beherrschen.


Trotz der mangelhaften Verständigungsmöglichkeiten reicht eine Kopfbewegung aus, um fünf Sekunden später Jungrocker zu bewundern


Manch einem wird die heutige Strecke vielleicht eintönig erscheinen, aber die Ursprünglichkeit der Landschaft fesselt uns und wir können viel interessantes abseits des Weges erkennen. Landwirtschaft wird hier noch von Hand betrieben, wie ich es aus meiner Kindheit kenne. Das Heu der frisch gemähten Wiesen trocknet auf Holzgestellen und die Erde wird mühsam von Hand oder maximal mit tierischer Unterstützung bearbeitet. Auf jedem zweiten Mast sitzt ein Storch und alles wirkt regelrecht friedlich. Die kleinen Dörfer wirken zwar ärmlich, aber die Menschen strahlen eine Zufriedenheit und Zuversicht aus, die wir in wohlhabenden Gesellschaften selten finden können. Bei Tukums finden wir noch einen Abzweig in den Kemeru-Nationalpark, der uns zum Abschluss des Fahrtages noch mit ein paar Kurven und Hügeln entschädigt. Zur Übernachtung haben wir uns das alte Seebad Jurmala ausgeguckt. Der dortige Campingplatz schreckt uns jedoch nach der einsamen Romantik der letzten Tage durch sein Action- und Animationsangebot ab, sodass wir wieder ein Stück zurückfahren und uns für die nächsten zwei Nächte auf dem Camping Neptuns einrichten.
Der nächste Tag gehört ganz der Hauptstadt Riga. Parken kann man sehr bequem am Ufer der Daugava direkt neben den Mauern der Altstadt. Und die hat es in sich: ein sehr hübscher Altstadtkern mit engen Gassen, Kirchen und begrünten Höfen und Plätzen in einer sehr entspannten Atmosphäre.










Ein paar Schritte außerhalb befindet sich das größte zusammenhängende Jugendstilensemble überhaupt, dass gleichzeitig eine moderne Kneipenszene beheimatet und dadurch sehr lebendig wirkt.








Auch sehr schön ist der Zentralmarkt, der sich in fünf großen Hallen befindet, die früher als Hangars für Zeppeline genutzt wurden. Das Angebot ist riesig und die Stimmung einzigartig. Für uns eine der schönsten bisher bereisten Städte überhaupt!



Das gute Wetter bleibt uns treu und wir fahren Richtung Osten über Nebenstraßen durch den Wintersportort Sigulda, wo wir direkt zur mittelalterlichen Burg Turaida abbiegen, die leuchtendrot auf einem Hügel über einer Flußschleife der Gauja thront. Dieser Hügel ist eines der Symbole der lettischen Unabhängigkeit und an diesem Sonntag auch entsprechend frequentiert. Unser Besuch der Anlage als ausländische Touristen wird voller Stolz registriert und uns werden häufig die Hände geschüttelt.



Jetzt erreichen wir auch schon den Gauja-Nationalpark, der abseits der Orte von schönen, naturbelassenen und bis zu 30 km langen Schotterpisten durchzogen wird. Der aus rotem Sandstein bestehende Zvartes-Felsen verleitet zu einem weiteren Stop, bevor wie die Gauja mittels einer von Hand betriebenen Ziehseilfähre überqueren.





Am anderen Ufer erwarten uns ausgedehnte Sandpisten, die sich erst kurz vor Valmiera wieder zu Straßen entwickeln. Hier finden wir einen Platz am Fuße einer aufgegebenen Skisprungschanze, der wie so viele im Baltikum die Nutzung für eine Nacht erlaubt und für Reisende eine Feuerstelle und Picknickbänke bietet. So sitzen wir auch hier lange um das Lagerfeuer im Rauch, um die Quälgeister des Nordens fernzuhalten, die anderswo Mücken genannt werden.



Am nächsten Morgen steuern wir bei Mazsalaca den kleinen Naturpark an, an dessen Ende der Echofelsen Skanaiskalns beeindruckt. Im leuchtend roten Sandstein am Ufer der Salaca befinden sich viele Höhlen und ein Wanderweg schlängelt sich drei Kilometer an diesem Panorama vorbei. Der Echofelsen selber verstärkt ein 100 Meter entferntes Flüstern in klar verständliche Lautstärke, was wir ausprobiert haben und hiermit bestätigen können.




Kurz darauf erreichen wir bereits die Grenze zu Estland. Auch Lettland hat uns schwer beeindruckt, auch wenn es hier einen deutlich spürbaren Unterschied zwischen "Arm" und "Reich" gibt. Eine Mittelschicht scheint noch nicht zu existieren. Über Land sieht man viele verfallene Bauten, die aber noch bewohnt werden oder als Arbeitsstätte dienen. Man sieht mehr Störche als Menschen und die junge Generation ist sehr spärlich vertreten. Dafür sind die wenigen Menschen, die wir treffen sehr freundlich und es entwickelt sich ständig ein Gespräch. Viele Ältere sprechen ein gutes Deutsch und sie freuen sich über Besucher ihres Landes.
Ein paar Besonderheiten haben wir zudem kennengelernt: uns sind mehrfach kilometerlange Militärkonvois begegnet. In diesem Fall hat sich der Gegenverkehr scharf an den rechten Straßenrand zu begeben und auch stehen zu bleiben. Nahezu jeder Bahnübergang ist mit einem STOP-Schild versehen, das mangels weiterer Absicherungen wie Schranken tunlichst beachtet werden sollte.

Der Weg in Richtung Tallinn führt uns in Estland bewusst über kleine Schotterstrecken, die sich teilweise durch leicht hügelige Feld- und Ackerlandschaft, aber meistens durch dichten Wald führen. Häufig berührt man alte Gutshöfe, die sehr gepflegt an idyllischen Orten thronen und den Reiz der Gegend ausmachen. Uns begeistern zudem die überall anzutreffenden Picknickplätze vor allem im Soomaa Nationalpark, die für eine Nacht genutzt werden dürfen und uns schon früh am Tag verlocken, einfach abzubrechen und zu bleiben.




Der Nationalpark wird nur von zwei Schotterstraßen durchschnitten, die lediglich im Sommer und Herbst befahrbar sein sollen. Die Moorlandschaft wird nach der Schneeschmelze (die fünfte Jahreszeit) zu großen Teilen überflutet und kann dann nur mit Booten bereist werden. Zudem sollen hier noch viele einheimische Wildtiere wie Wolf, Luchs oder auch Bären leben, was für unsere Begriffe gut zu der einsamen Landschaft passt.
Uns zieht es heute jedoch nach Tallinn, das uns im Reiseführer als DIE Perle des Baltikums versprochen wird und suchen uns einen Campingplatz im Westen der Stadt in einem kleinen, namenlosen Dorf, das aus einer Tankstelle, einem Supermarkt und ein paar Häusern besteht. Nachdem wir aus den Wäldern scheinbar direkt dem Mittelalter mit Pferdefuhrwerken und handwerklicher Landwirtschaft kommen, überrascht uns hier ein Feldversuch eines großen Onlinehändlers, der seine Pakete mittels autonomer Lieferfahrzeuge zustellt. Überhaupt ist Estland DIE positive Überraschung dieser Reise: eine moderne Gesellschaft, die aber ihre Traditionen bewahrt und pflegt. Man sieht viele junge Familien und vor allem viele Kinder. Und die Menschen erwecken den Anschein, dass sie an ihre Zukunft glauben. 
Wir beschließen, Tallinn mittels Bus und Bahn zu erobern und machen uns bereits früh mit leichtem Gepäck zu Fuß auf in Richtung Bahnhof. Den ganzen Tag durchqueren wir die Stadt, die wirklich schön ist.














Allerdings auch sehr voll. Vielleicht sogar übervoll. Auch wenn wir den Tag genießen, so hat uns doch Riga viel besser gefallen. Wir erkunden uns noch nach den Abfahrtzeiten der Fähren und rollen am nächsten Vormittag an Tallinn vorbei auf die Fähre nach Helsinki, die uns in 3,5 Stunden nach Finnland bringt. Zur besten Feierabendzeit spuckt uns die Fähre im neuen Hafen am westlichen Rand der Stadt aus und wir starten zu einer zeitraubenden Stadtrundfahrt. Schon im Dauerstau lässt sich erkennen, dass die Stadt durchaus als eigenständiges Reiseziel taugt, dass wir mit dieser Erkenntnis auf "später" verschieben und einen schnellen Weg in Richtung Osten und raus aus der Stadt suchen. Über den Königsweg, der sich entlang der finnischen Südküste als Alternative zur Europastraße anbietet, erreichen wir Porvoo, das mit einem schönen Ensemble rot gestrichener Speicherhäuser am Ufer des Porvoonjoki zum Halt einlädt. Niedrige Holzhäuser die von steilen und mit grobem Stein gepflasterten Gassen durchzogen werden, erinnern ein wenig an eine Puppenstube.




 
Der nächste Tag beginnt mit einer schönen und kurvigen Fahrt über gute Straßen in Richtung Norden, bevor wir uns vom Trans Euro Trail in einer herrlichen Mischung aus Schotterpisten, Waldwegen und kurzen Asphaltstücken in Richtung russischer Grenze nach Karelien locken lassen. So wird der Tag dominiert von tollen Landschaftseindrücken aus der Kombination von Seen und dichten Wäldern.
Auf einem schmalen Damm zwischen zwei Seen kommt es dann zu einer unglaublichen Begegnung mit einem Luchs. Bis die Bremsen greifen sind wir auch schon unmittelbar neben dieser wunderschönen Wildkatze, die ziemlich genau 21" groß ist. Die "Flucht" des Tieres wirkt so gelassen und souverän und wir sehen uns wirklich für Sekunden direkt in die Augen, bevor es am Ende des Dammes im Dickicht des Waldes verschwindet. Ein für mich ganz besonderes Erlebnis dieser Reise.




Abends finden wir einen kleinen Platz am Ufer eines der unzähligen Seen und sitzen wieder bis weit in die Nacht am Lagerfeuer.



Beim Durchqueren des klassischen Seenfinnlands verlieren wir jedes Gefühl für die Zeit und schaffen trotz ganztägigen Fahrens kaum 300 km, sodass wir uns langsam Gedanken über die Heimfahrt machen müssen. Wie eigentlich immer sind drei Wochen Auszeit viel zu wenig. So entscheiden wir uns für den Weg nach Westen und geben den ursprünglichen Plan der Ostseeumrundung endgültig auf, auch wenn das eigentlich schon länger erkennbar war.
Zwei Tage später erreichen wir dann wieder die Ostsee auf einer kleinen Schäreninsel bei Uusikaupunki, wo wir abends erfahren, dass Daniel früher zurück muss, um seine berufliche Zukunft zu regeln. So trennen wir uns am nächsten Morgen und er fährt wieder nach Helsinki um die Direktfähre nach Travemünde zu nehmen.



Wir wollen die Schärenringstraße bei Turku erkunden und entdecken im Vorbeifahren ein Feld, auf dem in liebevoller Kleinarbeit Puppen in Alltagssituationen dargestellt werden.





Am Fähranleger angekommen müssen wir leider feststellen, dass die nächste Fähre erst in fünf Stunden ablegt und wir basteln uns eine Alternative über die Aland - Inseln, woraus sich dann auch der endgültige Rückweg ergibt. So ergibt sich ein spaßiger Wechsel aus Straße, Fähre, Inselstraße, Fähre, Brücke, Fähre, usw.
Aland besteht aus über 6.000 Inseln und unzähligen Schären und Klippen. Die Hauptinseln sind durch Brücken miteinander verbunden und die größte der Inseln heißt dann auch "Festes Aland". Die Besonderheit der Inselgruppe liegt darin, dass sie als autonome Provinz unter Selbstverwaltung steht und sogar eine eigene Flagge besitzt. Inselsprache ist übrigens schwedisch! Wir befahren so ziemlich jeden Kilometer der Hauptinsel und bummeln durch die Hauptstadt Mariehamn, bevor wir bei Eckerö auf dem Hummelvik Camping unser Zelt direkt am Meer aufbauen.






Die sanitären Anlagen sind ausbaufähig, aber stimmungsvoll...


Am nächsten Morgen nehmen wir die Fähre in Richtung Schweden, bummeln ein wenig durch das Hinterland und durchqueren irgendwann das Nadelöhr Stockholm, bevor wir uns südlich der schwedischen Hauptstadt auf einer kleinen Schäreninsel einen Zeltplatz in einem Kiefernwäldchen direkt am Meer suchen.



Schon für die Nacht war Regen und Sturm angesagt, aber das bisher ungewöhnlich schöne und warme Wetter bleibt uns bis zum Mittag treu.




Dann allerdings wird es ungemütlich kalt, stürmisch und extrem nass. So suchen wir uns auch am Abend am Ufer des Vanern Sees eine Hütte, um uns noch einmal aufwärmen und die Kleidung trocknen zu können. Nach regnerischem Start am nächsten Morgen klart es im Verlauf des vormittags wieder auf




und wir lassen uns gemütlich über kleine Landstraßen in Richtung Göteborg treiben, wo wir am Abend auf die Fähre rollen, die uns über Nacht nach Kiel bringt.
Unglaublich, wie schnell drei Wochen verfliegen können.....



 Zum Abschluss eine kleine Zusammenfassung: